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Moral

Bei der Suche nach weiteren Lebensumständen unserer Vorfahren stieß ich auf Dinge während des 19. Jahrhunderts, die die Gesellschaft am Beginn des dritten Jahrtausends schon lange akzeptiert. Die Rede ist von "Wilden Ehen".

Wie gingen unsere Vorfahren mit Mitbürgern um, die sich der "Fleischeslust" hingaben und somit die Institution Ehe missachteten?

Bei der Durchsicht der Depenauer Gerichtsprotokolle (Landesarchiv Schleswig-Holstein 125.3) fiel mir auf, dass man jungen Leuten, die außerhalb des überschaubaren Heimatbereiches ihren Militär-dienst ableisteten, kein Vertrauen entgegenbrachte. Für sie gab es eine besondere Hürde vor einer Eheschließung, denn der Pastor von Bornhöved bestand auf einer "Beeidigung" des Heiratswilligen wegen "einzugehender Ehe", so geschehen beispielhaft:

Depenau 24. April 1816.
Causa 12 Beeidigung des Heinr. Friedrich Riecken, wegen einzugehender Ehe

"Es erschien der Soldat Heinr. Friedr. Riecken vom Holst. Infant. Regiment jetzt peretirt u. zeigte an, dass da er sich mit Dor. Elisabeth Theeden aus Stolpe zu verehel. beabsichtigte, das Pastorat zu Bornhöved, weil er mehrere Zeit abwesend gewesen in Folge der Anordnung vom 28. Nov. 1800 ei-nen sogenannten Eidschein von ihm verlange, und bat zur Ablegung des Eides zugelassen zu werden. Comparent hat hiervon nach vorgängiger Verwarnung vor dem Meineid folgenden Eid abgeleistet:

Ich, Heinr. Friedr. Riecken schwöre hierdurch und vor Gott den Allmächtigen und auf das heilige Evangelium, einen wahren und körperlichen Eid, dass ich außer meiner jetzigen Braut Dorothea Eli-sabeth Theeden mich mit keinem anderen Frauenzimmer in ein Eheversprechen eingelassen, so wahr mir Gott helfe u. sein heiliges Wort noch sonst der von mir einzugehenden Ehe ein rechtliches Hin-derniß entgegen stehe."

Wie es den nicht verheirateten Eltern eines Kindes erging, lässt sich den folgenden Protokollen aus den Jahren 1856/57 entnehmen:

Depnau, den 10. December 1856
Causa 36 Bruchsache betr. Die unverehelichte Anna Magdal. Riecken zu Wankendorff und der Jäger Joh. Hinr. Riecken zu Stocksee, wegen Unzucht

"Wegen Bruchfälligkeit war auf heute vorgeladen und erschienen die benannte Anna Magdal. Riecken und erklärte auf Befragen: Sie heiße wie benannt, sei 22 Jahre alt und wegen Unzucht noch nicht bestraft. Vater ihres am 18. Oct geborenen Sohnes sei der derzeitige Jäger zu Stocksee, Joh. Hinr. Riecken, von welchem sie zu Neuenjäger hiesigen Guts beschwängert worden.

In Erwägung der rechtl. Folgen des in vorstehender Erklärung enthaltenen Geständnisses ward erkannt:

Dass Anna Magdal. Riecken wegen Unzucht zu einer 2mal 5tägigen Gefängnisstrafe bei Wasser und Brot evnt. Bezahlung der nebenverz. Geb. zu verurtheilen.

Auch ward dieselbe darüber belehrt, welchergestalt es ihr freistehe, die Vollstreckung dieser Strafe durch Bruchzahlung oder Verehelichung mit ihrem Schwängerer von sich abzuwenden."

Über den jungen Mann liegt folgendes Protokoll vor:

Depenau, den 11. Mai 1857, Ad Causa 36
"In dieser Bruchsache hatte sich auf durch das Königl. Ploener Rathaus erwirkte Citation gleichfalls eingefunden der Jäger Joh. Hinr. Riecken und erklärte auf Befragen:

Zu heißen, wie benannt, 32 Jahre alt zu sein, und dass er nicht leugnen könne, mit der Anna Magdal. Riecken vor der Geburt des am 18. Oct. v. J. von ihr geborenen unehel. Kindes, und zwar hier im Gute, verbotenen fleischlichen Umgang gepflogen zu haben. Wegen ähnlichen Vergehens sei er noch nicht bestraft.

In Erwägung der rechtlichen Folgen des in vorstehender Erklärung enthaltenen Geständnisses ward erkannt: dass Joh. Hinr. Riecken wegen Unzucht zu einer 2mal 5 tägigen Gefängnisstrafe bei Wasser und Brot, event. Bezahlung der nebenverz. Kosten zu verurtheilen.

Auch derselbe darüber belehrt, welchergestalt es ihm freistehe, die Vollstreckung dieser Strafe durch Bezahlung von 8 Thl. Brüche und 5 Thl. 32 ß für die (Frau) oder durch Verehelichung mit letzterer von sich abzuwenden."

Eine Heirat beider ist im Kirchenbuch Bornhöved nicht verzeichnet, also hatten die beiden Ange-klagten die Strafe anzutreten.

Vergehen gegen herrschende Moralvorstellungen wurden zumindest in ganz offensichtlichen Fällen verfolgt und bestraft.

Begeben wir uns in einen anderen Landstrich und in eine frühere Zeit. Um 1770 war Potsdam Garni-sonsstadt. Preußen galt als ein Staat mit Tugenden und Ordnung. Friedrich der Große herrschte. Er gestattete nur einem Fünftel seiner Soldaten zu heiraten. Den übrigen Soldaten war es erlaubt, in einem Konkubinat zu leben. Es war einfach für die Soldaten, im Waisenhaus ein Mädchen zu finden und mit ihm zusammen zu ziehen. Er meldete sich bei seinem Vorgesetzten und erhielt eine schriftli-che Erlaubnis, deine "Geliebte" bei sich aufzunehmen. Nach einer erfolgten Trennung nach kurzer oder langer Zeit meldete er sich bei seiner Kompanie und bezog sein altes Quartier, die Frau musste dann sehen, wo sie blieb. Kinder aus dieser Verbindung wurden nach einer Trennung ins Waisenhaus gegeben.

Die Volkszählung 1779 in Potsdam führte als offizielle Bezeichnung für diese Frauen den Begriff "Liebste". Die verzeichneten Kinder dieser Liebsten beliefen sich zwischen 1 und 5. Die Liebste war bei den geringen Soldzahlungen an die Soldaten darauf angewiesen zu arbeiten. Es wurden fol-gende Berufe ausgeübt: Näherin, Spinnerin, Schneiderin und Wäscherin.

Allerdings gab es auch gut situierte Liebsten, die selbst Dienstboten einstellten.

Den unehelichen Kindern wurde eine ordnungsgemäße rechtliche Stellung gegeben, d. h. unsere Vorfahrin Dorothea Elisabeth Rubrecht, unehelich geboren in Potsdam 06.02.1770, verstarb in Berlin 30.10.1818, heiratete 15.11.1795 in Berlin Johann Heinrich Danckwart als eheliche Tochter des Regimentstambour in Potsdam Johann Samuel Ruprecht und der Anna Louisa Grundt, die insgesamt 5 Kinder hatten, und offiziell nicht verheiratet waren.

Ein Sohn konnte das Berliner Bürgerrecht erwerben, wofür eheliche Geburt sonst Voraussetzung war.

Zu erkennen ist, dass es keinen festen Begriff "Moral" gab, Moral war zeit- und regionsabhängig. Im ländlichen Raum wuchs die Bevölkerung so auf, wie es Sitte und Tradition verlangt. Die Dorfkultur wurde nicht reflektiert, sie wurde einfach übernommen und weiter tradiert.

Im damaligen Potsdam stellte die Obrigkeit finanzielle Aspekte über moralische. Ob es trotz Verbots seitens des Staates zu Vorwürfen und Benachteiligungen der verlassenen Frauen kam, geht aus der Literatur nicht hervor.

Moral war also nicht fest gefügt sondern unterlag unterschiedlichen Werten und gesellschaftlichen Vorstellungen.

Literatur:

Landesarchiv Schleswig-Holstein, Gerichtsprotokolle des Gutes Depenau, Signatur 125.3

Werwack, Friedr.; "Wilde Ehen", in Familiengeschichtlichen Blättern, 28. Jahrgang 1930, Heft 10/1

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